Das pädagogische Smiley-Regime
- Der Vater
- 2. Dez.
- 2 Min. Lesezeit

Wissen Sie, meine lieben Freunde, es gab einmal eine Zeit, da besass ein Kind noch so etwas wie Würde. Sie erinnern sich vielleicht dunkel daran: kleine Menschen, die Fehler machen durften, ohne dass man ihren emotionalen Zustand auf einer öffentlichen Hinrichtungstafel markierte.
Heute hingegen herrscht in den Schulen ein System, das man nur als pädagogisches Wettrüsten der Piktogramme bezeichnen kann. Ein Kind vergisst die Hausaufgaben und schon marschiert es nach vorne um seinen Smiley eine Etage tieferzuschieben. Das Gesicht, das es dort hinunterbefördert, ist übrigens immer seines. Die moderne Pädagogik nimmt Identifikation sehr ernst.
„Schau, Roland“, sagt die Lehrerin, „du bist nun offiziell traurig.“ Eine Feststellung, die Roland erst dann wirklich traurig macht.
Ich stelle mir immer vor, wie irgendwo im Keller der Schule ein kleines Büro existiert, das Amt für Emotionale Verkehrsschilder. Dort sitzen zwei pensionierte Beamte, die darüber entscheiden, welche Art von Wolke pädagogisch angemessen ist, wenn Lisa zum dritten Mal ihren Füller verliert. „Keine Gewitterwolke“, sagt der eine, „wir wollen doch nicht dramatisieren.“ „Richtig“, erwidert der andere, „nehmen wir das freundliche Nieselgrau.“
Das alles dient natürlich, wie man uns versichert, der Selbstregulation. Ein Wort, das so gross klingt, dass man fast vergisst, dass es bedeutet: „Bitte, Kind, regulier dich selbst, wir haben bereits ein Smiley dafür.“
Ich frage mich, wie das System wohl auf Erwachsene übertragen würde. Stellen Sie sich vor: Im Büro stehen Sie morgens vor der Kaffeemaschine, greifen daneben, verschütten alles und der Chef sagt: „Schauen Sie mal, Herr Müller, Ihr Smiley ist jetzt auf Sturmwarnung. Und vergessen Sie nicht: drei Gewitter und wir führen ein Mitarbeitergespräch.“
Es wäre zumindest ehrlich.
Aber vielleicht, und das ist das Tragische, ist das ganze Smiley-Konzept nur der Versuch, die unkontrollierbaren Komplexitäten des menschlichen Daseins in drei Gesichtsausdrücke zu pressen: glücklich, neutral, traurig. Als könnten wir Erwachsene jemals so eindeutig sein.
Ich wiederum habe beschlossen, mir selbst ein kleines Smiley-Kärtchen zuzulegen. Ich werde es jeden Morgen verschieben und zwar nach Lust und Laune, ganz willkürlich. Nur um mich daran zu erinnern, dass Gefühle sich nicht pädagogisch ordnen lassen. Und dass es manchmal durchaus ein Fortschritt wäre, wenn wir uns alle wieder ein wenig Unordnung erlaubten.



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