Wenn Noten mehr wiegen als Menschen

Spät am Abend liegt das Haus still. Alles schläft. Und in dieser Ruhe spürt man die Gedanken am klarsten, die sich tagsüber in der Hektik verlieren. Heute dachte ich über das Prüfen nach. Über Noten. Über das System, das uns vorgibt, gerecht zu sein.

Die Schule gaukelt Menschlichkeit vor. Sie sagt: Jeder zählt. Jeder Einsatz wird gesehen. Wir berücksichtigen alles. Sie predigt Empathie, sagt, dass man sich bemüht, dass jedes Kind wichtig ist. Und doch – dann steht da diese Note. Einfach so. Ein kaltes Zeichen. Basta. Keine Rücksicht auf das, was das Kind getragen hat, wie schwer es der Tag gemacht hat, wie sehr es sich angestrengt hat, wie klein und blass es vielleicht wurde vor Angst oder Unsicherheit.

Das Schlimme am Prüfen ist nicht nur, dass es oberflächlich ist. Das Schlimmste ist, dass es blind ist. Dass ein Kind blass wird, innerlich kämpft, und der Lehrer es nicht sieht – und nicht verhindern kann. Oder will. Dass die Mühe, der Mut, die kleine Tapferkeit, die es aufbringt, unsichtbar bleiben. Dass die Realität des Kindes auf einem Blatt Papier auf eine Zahl reduziert wird. Das ist bitter. Das ist traurig. Und das ist wütend machend.

Wenn ich darüber nachdenke, wird mir klar, wie zerstörerisch das Prüfen ist. Wie kalt und unbarmherzig. Wie sehr es ein System über das Leben stellt. Ein System, das vorgibt, fair zu sein, das vorgibt, zu sehen und zu berücksichtigen – und dann einfach nur misst. Basta.

Es ist eine Wut, die gleichzeitig tief traurig macht. Eine Wut über die Blindheit der Erwachsenen. Über die Machtlosigkeit der Lehrer, die den Moment nicht schützen können. Über die Kälte des Systems, das vorgibt, Menschlichkeit zu sein, und doch alles auf eine Zahl reduziert.

Wenn man das sieht, wirklich sieht, versteht man, dass es hier nicht um Leistung geht. Es geht um Menschen. Um Kinder, die wir schützen sollten. Um Kinder, deren Herz, Mut und Anstrengung niemals auf ein Blatt Papier passen. Und gerade deshalb ist es so furchtbar, dass wir es trotzdem versuchen.

Am Ende bleibt nur die Verantwortung. Die Verantwortung, nicht zu vergessen, dass hinter jeder Note ein Mensch steht. Ein Herz. Ein Leben. Und dass kein Test, keine Zahl, kein System das jemals ändern sollte.