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Die erlösende Wahrheit aus dem Ohrstöpsel

  • Der Vater
  • 14. Aug. 2024
  • 2 Min. Lesezeit

Airpods

Da sitze ich nun, nach Jahren des Ringen mit einem Thema, das sich mir in seiner ganzen Komplexität stets hartnäckig entzogen hat. Ein Marathon an Lesungen, Vorträgen, Seminaren und natürlich den schier endlosen Fussnoten wissenschaftlicher Werke liegt hinter mir. Ich habe Bibliotheken durchwühlt, mich durch endlose Papierberge und digitale Datenbanken gegraben, als wäre ich ein Archäologe auf der Suche nach einem verschollenen Schatz. Ich habe mein Leben diesem einen Thema gewidmet, in der festen Überzeugung, dass ich es wohl nie in seiner Gänze begreifen werde.


Und dann, eines Tages, treffe ich auf eine wahrlich erleuchtende Entdeckung: den Podcast. Nicht irgendeinen Podcast, sondern den Podcast, der mit unvergleichlicher Selbstsicherheit das Geheimnis lüftet, das mir so lange verborgen blieb. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie erleichtert ich war! Fünf bis zehn Minuten, in denen eine freundliche Stimme aus dem Off mir erklärt, wie die Welt wirklich funktioniert. All die Jahre des Studiums, des Zweifelns, der Unsicherheiten – was für eine Verschwendung von Zeit! Hätte ich doch nur früher gewusst, dass die Antwort so einfach zu haben ist.


Wie wunderbar ist doch das moderne Leben, in dem man sich nicht mehr mit dem schmutzigen Handwerk des Denkens beflecken muss! Denn was nützt all das Lesen, das Nachforschen, das endlose Analysieren, wenn am Ende ein klug verfasster Podcast in wenigen Minuten das Mysterium lüften kann, über das so viele von uns mühsam stolpern? Die Philosophen mögen sich in ihren Elfenbeintürmen quälen, die Wissenschaftler mögen sich in Labyrinthen aus Hypothesen und Experimenten verlieren – doch für uns, die erleuchteten Hörer der digitalen Epiphanie, ist die Wahrheit nur einen Knopfdruck entfernt.


Ich frage mich manchmal, ob es nicht an der Zeit wäre, all die Universitäten zu schliessen, all die Bibliotheken niederzubrennen – natürlich nur symbolisch, verstehen Sie – und stattdessen die goldene Ära der Podcasts auszurufen. Statt langer Vorlesungen könnten wir doch einfach alle gemeinsam in einem grossen Saal sitzen, Kopfhörer auf den Ohren, und lauschen, wie uns jemand in wenigen Minuten das erklärt, was Generationen von Denkern zuvor nicht geschafft haben.


Natürlich bleibt die Frage, was mit all den nutzlosen Intellektuellen geschehen soll, die dann ihren Lebenssinn verlieren. Aber auch hier habe ich eine Lösung, inspiriert von den genialen Podcast-Machern: Wir schicken sie alle auf eine einsame Insel, wo sie dann Podcasts über die Sinnlosigkeit ihres Tuns aufnehmen können. Diese könnten wir dann in einem Special anhören, während wir genüsslich schmunzeln und uns dabei die neuste Folge eines „True Crime“-Podcasts anhören, der uns in wenigen Minuten alles über das Wesen des Bösen erklärt.


Ach, welch eine Zeit, in der wir leben! Jahrzehnte des Lernens, verdichtet auf wenige Minuten – für uns, die es eilig haben, weil die Welt da draussen schliesslich nicht wartet. Nur manchmal, wenn ich abends mein Ohrstöpsel herausnehme und die Stille der Nacht hereinbricht, frage ich mich: Was, wenn es doch nicht ganz so einfach ist? Doch dann schlafe ich beruhigt ein, denn zum Glück gibt es für solche Gedanken sicherlich einen Podcast, der mir auch diese Zweifel in wenigen Minuten aus dem Weg räumt.

 
 
 

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