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Effizienz im Chaos

  • Der Vater
  • 8. Okt. 2024
  • 3 Min. Lesezeit

Tee

Es gibt viele Dinge im Leben, die schwer zu verstehen sind. Warum schmeckt ein Güezi so gut, obwohl es mit voller Absicht krümelt? Warum haben die Briten den Tee so hochstilisiert, während sie ihn bitter trinken wie ihre eigenen Schicksale? Aber nichts, absolut nichts, stellt die menschliche Logik auf so eine harte Probe wie die Tatsache, dass wir im Zeitalter der hochpräzisen Technologie ganze Gebäude in die Luft jagen, um eine einzige Person zu beseitigen.


Man stelle sich vor, man möchte eine Zielperson eliminieren, sagen wir – hypothetisch, natürlich – jemanden, der einem auf die Nerven geht. Diese Person sitzt friedlich in ihrem Wohnzimmer, trinkt möglicherweise einen Tee (hoffentlich ohne Zucker, denn das wäre barbarisch), und ahnt nichts Böses. Und was machen die Verantwortlichen? Sie schicken keinen präzisen Killer, der den Job elegant und unauffällig erledigt. Nein, sie jagen das ganze Gebäude in die Luft und hinterlassen eine Staubwolke, die sich über die gesamte Stadt verteilt.


Dabei könnte man meinen, dass die Kunst der Diskretion längst im modernen Repertoire der internationalen Geheimdienste verankert sei. Wir leben in einer Zeit, in der dein Smartphone dir vorschlägt, welche Pizza du bestellen solltest, bevor du selbst weisst, dass du Hunger hast. Einer Zeit, in der man per Satellit erkennen kann, ob dein Nachbar seine Gartenhecke ein wenig zu breit hat. Und dennoch – anstatt ein diskretes, präzises Mittel der Eliminierung zu wählen, wird das ganze Gebäude mitsamt sämtlicher Unschuldiger gesprengt. Die Frage, die uns dabei quält: Ist das wirklich notwendig?


Man könnte argumentieren, dass es sich um eine Frage der Symbolik handelt. Es ist, als wollte man der Welt zeigen: „Seht her, was wir alles tun können!“ Dabei wird die eigentliche Person, die zu beseitigen war, geradezu beiläufig zu Staub zermahlen, zusammen mit Tante Erna im zweiten Stock und dem armen Postboten, der im falschen Moment am Briefkasten stand.


Ich stelle mir vor, wie ein hochdekorierter General vor einer riesigen Leinwand steht und den Plan präsentiert: „Wir haben die Zielperson lokalisiert. Sie befindet sich im Gebäude D. Die sicherste Methode ist, das gesamte Viertel dem Erdboden gleichzumachen.“ Alle nicken zustimmend, als wäre das die logische Schlussfolgerung.


Es erinnert ein wenig an eine dieser grotesken Kochshows, in denen man ein Ei aufschlagen möchte und dabei das gesamte Huhn zerstört. Oder an das berühmte Sprichwort: „Warum eine Fliege mit einem gezielten Schlag töten, wenn man auch eine Atomrakete abschiessen kann?“ Effizienz ist anscheinend etwas, das mit dem technologischen Fortschritt nicht unbedingt Hand in Hand geht.


Natürlich könnte man vermuten, dass hier der Hang zum Spektakulären eine Rolle spielt. Geheimagentenfilme haben uns schliesslich gelehrt, dass man nie nur einen Bösewicht ausschaltet – es muss immer ein ganzer Komplex in Flammen aufgehen. Vielleicht ist es auch die moderne Form der Katharsis: Man möchte sich sicher sein, dass nicht nur das Ziel, sondern gleich die gesamte Umgebung für alle Ewigkeit aus dem Gedächtnis der Menschheit gelöscht wird.


Aber mal ehrlich – wäre es nicht viel eleganter, diskreter und, wenn ich mir erlauben darf, etwas humaner, wenn man einfach das Fenster öffnen und einen besonders bösen Luftzug hereinlassen würde? Ein kleiner, unschuldiger Windstoss, der alles beendet, ohne dass ein Abrissunternehmen engagiert werden muss.


Nun, ich bin kein Experte für derartige Massnahmen, aber eines weiss ich mit Sicherheit: Wenn schon Effizienz, dann bitte mit Stil. Wenn man eine Person eliminieren möchte, warum gleich die halbe Nachbarschaft mitnehmen? Warum die Welt daran erinnern, dass man statt einer Stecknadel den gesamten Heuhaufen vernichten kann?


Man könnte sagen, die Menschheit hat sich entschieden, ihre Probleme mit einem Hammer zu lösen, selbst wenn es nur darum geht, eine Mücke zu zerdrücken. Vielleicht ist es der Lärm, vielleicht die Zerstörung – oder vielleicht einfach das alte, tiefe Bedürfnis, den Dingen einen dramatischen Abgang zu gönnen. So wie in einem schlecht geschriebenen Theaterstück, in dem jeder Schauspieler am Ende einfach tot umfällt, weil dem Autor die Dialoge ausgegangen sind.


Und während ich hier sitze und diesen Gedanken nachhänge, frage ich mich leise: Sollte ich irgendwann Ziel solcher präzisen, aber monumentalen Massnahmen werden, dann möge doch bitte wenigstens jemand sicherstellen, dass mein Tee noch heiss ist. Alles andere wäre ein ungebührlicher Abgang.


Ende der Überlegungen eines friedfertigen Vaters.

 
 
 

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